Wieviele Hotels braucht diese Stadt?

Von der Industrie zur „Fremden-Industrie“ ?

Der Konstanzer Hotelbauboom hinterlässt Fragen

Gastbeitrag von Werner Trapp

veröffentlicht im "s’BLÄTTLE" No. 62, Mitgliederzeitung der BAS, Bürgergemeinschaft Allmannsdorf-Staad, mit freundlicher Erlaubnis des Autors

Wohl kaum eine touristische Destination in Deutschland kann in einem so kurzen Zeitraum mit einem so hohen touristischen Wachstum aufwarten wie Konstanz – ein Wachstum, das 60% über dem bundesrepublikanischen Durchschnitt liegt.  
Ein Blick zurück auf das Jahr 2006: Damals fand in Konstanz der größte geisteswissenschaftliche Kongress Europas statt, der 46. Deutsche Historikertag. Etwa 3500 Gäste stießen auf ein Angebot von gerade mal 1000 Hotelbetten in nur 12 Vollhotels - ein Großteil der Teilnehmenden musste in der näheren und weiteren Region untergebracht werden. Wie kein anderes Ereignis zeigte dieser Historikertag die Grenzen des touristischen Standorts Konstanz auf. 13 Jahre später finden wir hier eine völlig andere Situation vor: Das Bettenangebot der Hotels hat sich durch den Bau einer ganzen Reihe neuer Hotels auf über 4000 vervierfacht, die Zahl der Übernachtungen von 485 000 auf knapp eine Million verdoppelt.
Scheinfassadenarchitektur in der Reichenaustraße, der Sammeladresse für gesichtslose Großhotels in Konstanz

Inzwischen ist auch diese Millionenmarke bei den Übernachtungen überschritten, und weitere große Hotels sind in Planung oder im Bau. Wie lässt sich dieser beispiellose Wandel beschreiben und erklären? Wo sind Ursachen zu verorten, welches sind die diesen Wandel bestimmenden Faktoren? Auf diese Fragen gibt Armin Müller in seinem Buch „Standort und Strategie“ wichtige Antworten. Müller konnte als Geschäftsführer des 46. Deutschen Historikertages wie als Projektmanager beim Stadtmarketing Konstanz reichlich praktische Erfahrungen sammeln, sein Buch erarbeitete er als „Studiengangsleiter Hotel- und Gastronomiemanagement“ an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Ravensburg,

Zunächst beschreibt der Autor den „Tourismusstandort im Wandel“ : Voraussetzung für den Boom neuer Hotelbauten nach 2007 war die fast vollständige De-Industrialisierung im Gebiet nördlich des Rheins, wo in den Jahren nach der Jahrtausendwende nicht nur ein gänzlich neuer Stadtteil – die Stadt am Seerhein – entstand, sondern auch große Flächen an Industriebrachen den Bau neuer Hotels erst ermöglichten: In nur wenigen Jahren entstanden 12 neue Hotels, die meisten von ihnen in den Arealen der ehemaligen Industrie, ein erheblicher Teil wiederum als Ableger international operierender Hotelketten wie IBIS, B&B oder Hampton by Hilton. Und – was auf den ersten Blick überrascht – meist in einer wenig attraktiven Lage, nämlich direkt an der Bundesstraße 33 oder in deren unmittelbarer Nähe, also an verkehrsreichen Standorten, inmitten von Lärm und Abgasen.

Konstanz nach der Jahrtausendwende –

Konstanz nach der Jahrtausendwende – eine Boomtown für renditehungrige Investoren aus aller Welt, denen die Stadtpolitik über entsprechende Bebauungspläne bereitwillig Grundstücke auswies und Baugenehmigungen erteilte. Kein Wunder, dass so viel Wachstum in der Stadt nicht nur auf Begeisterung stieß, sondern auch Diskussionen über den sog. „Overtourismus“ provozierte. Das verbreitete Unbehagen an dieser Entwicklung war mit ein Grund dafür, dass in Konstanz bei der letzten OB-Wohl um ein Haar ein Kandidat aus der Partei „Die Linke“ das Rathaus erobert hätte.  

Nichts könnte den Wandel, der sich hier vollzogen hat, besser beleuchten als der Kontrast zwischen dem Verschwinden eines der letzten, von einer Familie geführten Hotels in der Kernstadt, des „Petershof“ (1926 – 2020) und der Ausbreitung der neuen Betriebe der Kettenhotellerie in unmittelbarer Nähe. Drei dieser Hotels tragen die Namen „IBIS“, „IBIS Styles“ und „IBIS Budget“, wobei diese drei Namen für drei von insgesamt 15 Hotelketten des französischen Accor-Konzerns stehen, der weltweit fast 4000 Hotels unter verschiedenen Kettennamen durch unterschiedliche Betreibergesellschaften bewirtschaften lässt.    

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Und nichts könnte das Unbehagen an dieser Entwicklung besser verdeutlichen als das in der Stadt hoch umstrittene Projekt eines Schweizer Investors, der mit seinem „Sea Palace“ – nomen es omen – genannten Luxus-Hotel (inzwischen „Buff Medical Resort“, Eröffnung erneut verschoben auf Januar 2025) auf dem Gelände des ehemaligen Sanatoriums Dr. Büdingen direkt am Konstanzer Seeufer zeigt, worum es hier im Kern geht: „Um die Verdichtung des städtischen Raumes versus den Erhalt von stadtnahem Naturraum“ beziehungsweise „um die Pflege öffentlicher oder gar Schaffung öffentlicher Räume gegen die Privatisierung des Bodenseeufers“, so bringt es Müller prägnant auf den Punkt.  

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An erster Stelle müsste hier die Frage nach der demokratischen Legitimation wie die nach Sinn, Nutzen und Kosten dieser Wachstumsstrategie stehen. Eine Hotelstrategie wurde zwar 2018 vom Gemeinderat mit den Stimmen fast aller Parteien beschlossen, da waren aber die meisten der hier vorgestellten Hotels schon gebaut – mit Einzelgenehmigungen nach Baurecht, ohne ein schlüssiges und demokratisch legitimierts Gesamtkonzept. Vor allem aber wäre zu fragen, in wie weit die Stadtgesellschaft jenseits der Gremien des Gemeinderats in diesen Wandel überhaupt mit einbezogen wurde. Bei vielen Menschen in dieser Stadt ist jedenfalls der bestimmte Eindruck entstanden, dass eine solche breite Beteiligung der Bürgerschaft, dass eine offene Diskussion über die Frage: Welche Art von Tourismus wollen wir künftig, und wie viel davon?  – nicht stattgefunden hat.  

Ein Zweites: Der Klimawandel ist nicht nur in aller Munde, er ist seit der Jahrtausendwende zumindest auch überall mehr als deutlich zu spüren. Die Stadt Konstanz hat 2019 - symbolpolitisch höchst medienwirksam – als erste Stadt in Deutschland einen „Klimanotstand“ ausgerufen. Und zwar nachdem man in den Jahren zuvor die Zahl der Übernachtungen auf eine Million verdoppelt und damit eine gewaltige Zunahme des motorisierten Individualverkehrs ausgelöst hat. Die dadurch erzeuge zusätzliche Verkehrsbelastung taucht bisher in keiner Klima-Bilanz auf. Widerspricht der von der Stadtverwaltung geförderte Tourismus-Boom mit seinem damit verbundenen Mehr an motorisiertem Individualverkehr am Ende gar den stets propagierten Klimaschutzzielen?

Auch ökonomisch werfen die von Müller präsentierten Zahlen eine Frage auf: Wenn sich das Bettenangebot im Hotelsektor in wenigen Jahren vervierfacht hat – weitere Betriebe kommen ja noch hinzu: Werden all diese Hotels auf Dauer eine genügende Auslastung und damit Rentabilität haben, oder werden weitere Familienbetriebe der Kettenhotellerie weichen müssen?  Will man einen solchen Strukturwandel hier wirklich?

Und welchen steuerlichen Gewinn hat die Stadt Konstanz aus den Filialen international operierender Hotelkonzerne, abzüglich aller von der Stadt zu erbringenden Vorleistungen und Folgekosten? Wo und wie genau versteuern überhaupt global operierende Hotelketten, die weltweit Tausende von Hotels betreiben, einen einzelnen Betrieb vor Ort? Dass die Stadt Mehreinnahmen hat, allein schon durch Grund-, Gewerbe- und Bettensteuer, sei hier nicht bestritten – eine gesamtwirtschaftliche Analyse von Kosten und Nutzen aber scheint zu fehlen.

Spricht man mit Bürgerinnen und Bürgern in dieser Stadt, auch mit solchen, die in der Kommunalpolitik engagiert sind, hört man immer wieder das Argument: „Von irgendwas muss Konstanz ja leben!“ Wenn wir schon keine Industrie mehr haben, setzen wir eben auf die „Fremden-Industrie“, wie man den beginnenden Massentourismus am Ende des 19. Jahrhunderts in schöner Offenheit nannte. Doch was heißt das genau? Natürlich schafft der Tourismus neue „Arbeitsplätze“ in Hotels und Gastronomie. Doch es ist eben nicht so, dass ein Heer von Arbeitslosen in Konstanz seit Jahren auf die Eröffnung dieser Hotels gewartet hat, um dort dann sehnsüchtig die neuen Stellen zu besetzen. Die Arbeitskräfte müssen in der Regel von außen, oft aus Osteuropa oder vom Balkan, angeworben werden.  Und diese Arbeitskräfte finden dann sehr oft in Konstanz  keine für sie bezahlbare Wohnung. Das bedeutet: Noch mehr Pendelverkehr, noch mehr Verkehrsbelastung, Am Ende dann noch mehr „Klima-Notstand“.

Und: Finden bzw. fanden die Kinder dieser Beschäftigten in Konstanz genügend KITA- bzw. Schulplätze? Ist diese Folge der städtischen Wachstumspolitik jemals genau untersucht worden, gibt es dazu verlässliche Daten?  

Auch städtebaulich dürfen Fragezeichen gesetzt werden: Denn mit dem Vordringen der Kettenhotellerie, die ja in der Architektur (außen wie innen) einem Konzept, einem „Style“ folgt, wächst die Gefahr einer Uniformierung, eines Verlusts an städtebaulicher und architektonischer Vielfalt. Armin Müller sagt es am Beispiel des ersten 2010 in Konstanz eröffneten IBIS-Hotels mit schlichten Worten: „Letztlich wurde ein standardisierter Funktionsbau nach Konzept und Design der Marke Accor realisiert“.

Wer heute – mit dem Auto von Westen herkommend – auf der B 33 in die Stadt hineinfährt, kann insgesamt sieben dieser „Hotel-Funktionsbauten“ bestaunen – Gebäude, die ebenso gut in der Peripherie von Frankfurt, im Speckgürtel von Berlin oder München stehen könnten. Austauschbare Architekturen, die sich zu einem Gesamteindruck verdichten: Hier wurde städtebaulich eine große Chance vertan.

Werner Trapp

Literaturhinweis - Müller, Armin: Standort und Strategie. Hotellerie und Gastronomie in der Bodenseestadt Konstanz im Wandel. Ein Studienbuch. Berlin: Neopubli 2021. 206 S. € 19,90